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Signale der Ampel: eine Social Media-Analyse

Eine Ampel regelt den Verkehr – und seit Dezember 2021 erstmalig auch die Zukunft Deutschlands. Die Bundestagswahl und die nachfolgenden Verhandlungen bis zum Koalitionsvertrag waren auch ausführlich auf Social Media zu verfolgen: Wer hat sich hier wie in Szene gesetzt? Und wie stark wurde dabei schon Kompromissbereitschaft signalisiert? Wir haben uns die Auftritte der Parteien auf Instagram und Twitter genauer angeschaut.

Von Jo Kurzner am 1. März 2022

„Bei Rot bleibst du steh’n“

Auf den SPD-Profilen bei Twitter und Instagram steht in den Wochen rund um die Koalitionsverhandlungen vor allem einer: Olaf Scholz, in dunklem Anzug und dunkler Krawatte, mit ernstem Gesichtsausdruck und gerader Haltung. Seriös und professionell. Die Instagram Captions und Tweets im Oktober 2021 handeln von Aufbruch, Chancen, gegenseitigem Respekt und Verständnis. Die SPD nutzt hier den Platzvorteil und hält sich mit Olaf Scholz im Bild höflich zurück.

Über den deutlich jüngeren, ehemaligen Generalsekretär und aktuellen Co-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil zeigt sich die Partei von einer anderen Seite. Er wird im Gegensatz zu Scholz viel lockerer inszeniert: Unter seiner Maske lachend im Aufzug, mit aufgeknöpftem Hemd und ganz ohne Krawatte, den Menschen und der Presse freundlich zugewandt. Die dazugehörenden Captions heben die Gemeinsamkeiten mit FDP und Grünen hervor: Digitalisierung und Klimaschutz.

Unter dem Hashtag #Ampel nutzt die SPD-Fraktion des Bundestages Twitter-Threads, um die Grundlagen der ersten Koalitionsverhandlungen zu teilen. Das suggeriert Offenheit und Verhandlungsbereitschaft. Likes erhalten diese Threads von der Community eher in Maßen. Kein Wunder: Posts mit Bild laufen auf Social Media einfach besser – auch auf Twitter! Nachdem der Koalitionsvertrag finalisiert ist, spaziert die SPD nicht nur mit einem neu gewählten Kanzler an der Spree entlang, sondern auch mit sieben der 16 Ressorts aus den Verhandlungen heraus.

Screenshot eines Twitter-Threads der SPD-Fraktion im Bundestag vom 16. Oktober 2021. Der oberster Tweet ist angeschnitten:  „… Parteien auf diesem Weg weitergehen, dann kann in Deutschland Gutes gelingen.“ #Ampel (2/5)  #Mützenich: „Die Menschen werden in diesem Papier mit Mindestlohn, Rentensicherung, Kindergrundsicherung und 400.000 neuen Wohnungen die Ideen der Sozialdemokratie wiederfinden und gleichzeitig grünes und liberales Profil erkennen. Eine gute Kombination.“ #Ampel (3/5)  #Mützenich: „Wir haben ein Fundament geschaffen, das rot, grün und gelb angestrichen ist und am Ende von vielen Gemeinsamkeiten leben wird. Darauf kommt es an. Wir brauchen echten Fortschritt in Deutschland, um die großen Herausforderungen anzupacken.“ #Ampel (4/5)  #Mützenich: „Sollten in der kommenden Woche die Koalitionsverhandlungen beginnen, werden sich die Abgeordneten der SPD mit Ihrer Expertise intensiv einbringen. Am Ende wollen wir gemeinsam eine Fortschrittskoalition für Deutschland stellen.“ #Ampel (5/5)
Quelle: twitter.com/spdbt
Screenshot eines Tweet der SPD-Fraktion im Bundestag vom 24. November 2021. Text: #mehrfortschrittwagen. Bild: Ein Foto zeigt die Spitzen von SPD, Grünen und FDP.
Quelle: twitter.com/spdbt

„Bei Gelb eher warten“

Einige Verkehrsteilnehmende nutzen die Gelbphase, um richtig zu beschleunigen – egal, ob es danach Rot oder Grün wird. So könnte man auch die Social Media-Kommunikation der FDP zum Start der Verhandlungen beschreiben: mit Vollgas. Und das aus gutem Grund, denn für die FDP steht dabei viel auf dem Spiel. Nachdem Christian Lindner die Jamaika-Sondierungsgespräche der Bundestagswahl im Jahr 2017 mit den Worten „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ beendete, weht nach dieser Bundestagswahl offenbar ein anderer Wind. Bei den Wähler:innen unter dreißig war die FDP zweitstärkste Partei. Ein Grund mehr, sich auf Social Media entschlossen und seriös zu zeigen – das Zentrum der Bilder ziert Lindner.

Anfangs positioniert die FDP sich als „eigenständige, liberale Partei“ und betont die „freie Entscheidung“, mit der sie in die Koalitionsverhandlungen eintritt. Im weiteren Verlauf wird vom „Zweckbündnis“ und den „politischen Unterschieden“ gesprochen. Das wundert kaum, denn die Ampel wäre nicht die erste Wahl der FDP gewesen, wenn es um Koalitionspartner geht – dafür haben sie zu viele gegensätzliche Ansichten mit den Grünen. Trotzdem lässt sich ein Richtungswechsel der FDP beobachten: Es sei besser, die Koalition zu wagen als auf Gestaltungschancen zu verzichten liest man in einem ihrer Tweets vom 5. Dezember 2021. Das zeigt Kompromissbereitschaft – und in diesem Fall Stärke.

Wenn eine gefahrenlose Bremsung in der Gelbphase einer Ampel möglich ist, sollte gehalten werden. Andernfalls droht ein Bußgeld. Die FDP entscheidet sich im Laufe der Verhandlungen für den niedrigeren Gang und schlägt damit auch kommunikativ einen anderen Weg ein. In den Social Media-Posts gilt es, „Herausforderungen zu bewältigen“, „Mut zum politischen Kompromiss“ zu zeigen und „Ja zu sagen zu einer Koalition, in der viel liberale Politik enthalten ist“. Aus den Koalitionsverhandlungen geht die FDP mit vier Ressorts.

„Bei Grün darfst du geh’n“

Oder in diesem Fall bleiben, denn die Grünen sind bei den Wähler:innen unter dreißig mit 22 Prozent eindeutig der Favorit unter allen Parteien. Das zeigt sich auch bei Twitter. Dort hat die Partei mit 630.000 Follower:innen mehr als dreimal so viele wie die SPD. Kommunikativ geht es „mit starkem Rückenwind“ und „Aufbruch“ in die Koalitionsverhandlungen, um „Politik auf der Höhe der Zeit“ zu machen. Habeck und Baerbock zeigen sich auf den Fotos entschlossen, aber freundlich.

Klimaschutz steht ganz oben auf der Agenda. Doch Kompromisse mussten auch die Grünen eingehen, um Teil dieser Regierungskoalition zu werden. Im Gegensatz zur FDP stützen sie ihre Kommunikation jedoch auf die Gemeinsamkeiten, die Chancen, „Brücken, die über Trennendes gebaut werden“ und „Ideen und Möglichkeiten“. Als der Koalitionsvertrag steht, liegen fünf der 16 Ressorts bei den Grünen.

Drei Farben – eine Ampel

Der kleine Exkurs auf die gut eineinhalb Monate Koalitionsverhandlungen auf Social Media zeichnet ein Bild von drei Parteien, die sowohl Entschlossenheit als auch Gemeinschaftssinn und Kompromissbereitschaft kommuniziert haben. Er zeigt, dass mehr Kompromiss wagen zu #MehrFortschrittwagen führen kann. Alle drei stellen seit Dezember in einer erstmaligen Konstellation die Regierung der Bundesrepublik. Und das war nur durch eine Kompromissbereitschaft auf allen drei Seiten möglich. Eine Bereitschaft, die sich auch kommunikativ gelohnt hat.

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